Sehr geehrte Frau von der Leyen,
wir, die Unterzeichner, richten
unser Wort an Sie auf diesem Wege,
da uns dies als einzige Möglichkeit
erscheint,
auf eine in den Augen der Öffentlichkeit kaum
bis gar nicht
wahrgenommene “Nischengruppe”
innerhalb der Sozialleistungsbezieher
aufmerksam zu machen.
Wir sprechen hier von der
Randgruppe der erwerbsunfähigen
und vielfach auch behinderten
“Frührentner”, die ihre schmale Rente gezwungenermaßen mit Leistungen
nach dem SGB 12 aufstocken müssen.
Wir bezeichnen uns -mittlerweile wohl mit Fug und Recht- als
Deutschlands vergessene Kinder.
Wir, die den “Märkten” nicht mehr dienlich sein können -
so gerne wir auch arbeiten wollen,
wir können es nicht mehr -
wir, die Deutschlands Wirtschaft
nicht mehr
als “Humankapital” zur Verfügung stehen,
sind es nicht einmal
mehr “wert”, statistisch erfasst zu werden,
siehe Bundesdrucksache 17/6275,
in der auf die entsprechende Anfrage der Partei DieLinke
folgende Antwort zu lesen ist:
"In den Statistiken der Deutschen Rentenversicherung liegen demgegenüber
keine Angaben darüber vor, wie viele Rentenbezieher gleichzeitig
Leistungen
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
beziehen.
Deshalb sind keine Rückschlüsse möglich auf die Zahl von
Leistungsberechtigten der Grundsicherung im Alter
und bei
Erwerbsminderung, die vor dem Bezug einer Altersrente,
eine Rente wegen
voller Erwerbsminderung bezogen haben."
Wie geschrieben,
die meisten erwerbsunfähigen Behinderten bekommen
eine nur geringe
Erwerbsunfähigkeitsrente,
welche sie mit Leistungen der Grundsicherung
aufstocken müssen.
Sie haben dadurch weder Rücklagen noch irgendwelches
Vermögen
zur eigenen freien Verfügung.
Da aus diesem Geldbetrag ja noch
genügend Dinge zu zahlen sind,
die der Gesunderhaltung dienen ,
bzw. die
einfach nur normale Alltagsdinge sind, wie Brillen etc,
wird es
schwierig mit den vorhandenen Mitteln menschenwürdig zu leben.
Des weiteren sind erwerbsunfähige Behinderte durch erhöhte (krankheitsbedingte
)Stromkosten „beschwert “,
durch ggfs. eine aufwendigere Ernährung und
diverse Pflegemittel,
die selbst zu finanzieren sind ,
da die
Krankenkassen solche Pflegemittel nicht /nicht mehr zahlen.
Mehrbedarfe
werden meist häufig abgelehnt,
da die Grundsicherungsämter der Meinung
sind,
dass Alles, was der (behinderte) Mensch braucht durch seine
Einkünfte abgedeckt ist.
Diese Einkünfte sind dann die Erwerbsminderungsrente,
zuzüglich
Aufstockung durch die Grundsicherung.
Einem solchen erwerbsunfähigen
“Aufstocker” wird genau die Höhe an Regelleistung ( 374.-€) +
“angemessene” Kosten für Wohnen zugestanden,
wie den Leistungsbeziehern
nach SGB 2 – vulgo – “Hartz4 Empfängern”.
Die (mehr als umstrittene) Berechnung des völlig unzureichenden
“Existenzminimums” einmal unbeachtet gelassen,
erlauben wir uns,
Ihnen
in diesem Zusammenhang folgende Fragen zur eigenen Beantwortung zu
stellen:
Unstrittig und indirekt auch durch verschiedene (frühere) MdB bestätigt ist
unserer Meinung nach,
dass die Motivation bei einem zu knapp bemessenen
Regelsatz ist:
Die Leute sollen dort nicht verweilen wollen.
Das Ganze ist möglichst
unbequem zu gestalten,
damit bloß niemand auf die Idee kommt sich im
sog. sozialen Netz
ausruhen zu wollen.
Was aber ist mit uns, die wir krankheits-behinderungsbedingt
in der
“sozialen Hängematte” verweilen müssen,
ob wir das wollen oder nicht?
Wie begründen Sie hier die (nicht nur in unseren Augen) schon für Nichtbehinderte völlig unzureichende Regelleistung?
Es dürfte ebenso unstrittig
sein, dass “Hartz4 Empfängern” monatlich das Wasser (fast) genauso bis
zum Halse steht wie uns,
den erwerbsunfähigen
Grundsicherungs-Aufstockern.
Dennoch verbleibt diesen Menschen zumindest
eine
verschwindend kleine Chance, die Chance auf Erlangung eines
existenzsichernden Arbeitsplatz.
Nicht so bei uns.
"Wenn man das weltweite Arbeitsvermögen betrachtet,
so sind in den nächsten
zehn Jahren,
etwa die Hälfte der Menschen überflüssige Menschen,
die auf
die eine oder andere Weise von diesem Planeten verschwinden müssen“,
sagte die Ökonomin Susan George,
eine der Gründerinnen von attac bei
einem Vortrag in Stockholm.
Überflüssige Menschen – das
sind wir bereits schon –
und mit etwas Zynismus darf man also vermuten,
dass eine unzureichende monetäre Versorgung von uns “Ballast-Existenzen”
dafür sorgen wird,
dem sozialverträglichen Frühableben Schützenhilfe zu
geben.
Angesichts diverser aktueller Studien wie der der Humboldtuniversität ist es vermutlich als empirisch nachgewiesen zu sehen, wie sehr allein schon Erwerbslosigkeit beeinträchtigt :
Die Lebenserwartung von Langzeiterwerbslosen liegt inzwischen 5 – 7 Jahre unter der
allgemeinen Lebenserwartung.
Über uns wurden unseres Wissens nach nicht einmal eine Studien erstellt, wozu auch?
Nur wenn die Nachbarn sich über den Geruch beschweren,
die Tür
aufgebrochen wird, dann ist es eine Schlagzeile wert,
dass ein kranker/behinderter Mensch in seiner Wohnung verstorben ist
und dort wochenlang
(unbemerkt ) lag.
Man lässt uns, den Erwerbsunfähigen, keine finanziellen Mittel,
die über
das absolut Lebensnotwendige hinaus gehen...
im Gegenteil, man verschärft
unsere Lage noch,
indem bestimmte Leistungen aus den
Krankenkassenkatalogen gestrichen werden,
bestimmte Medikamente selbst
zu zahlen sind usw usf.
Was die sogenannte “soziale Teilhabe” betrifft:
Ist Ihnen, Frau von der Leyen, überhaupt klar,
dass behinderte Menschen andere Anforderungen /Ansprüche an „Beförderung”
haben und sie SELTEN öffentliche Verkehrsmittel ohne Probleme /eine
zusätzliche Begleitperson usw. nutzen können,
weil schlicht das Geld
fehlt, um am Leben teilzunehmen ?
Deswegen sind erwerbsunfähige, arme Behinderte nicht in der Lage sich Fahrzeuge zu kaufen , die keinen/einen geringen Wartungs- und Reparaturaufwand benötigten.
Ein solches Fahrzeug hätte ja seinen Preis und würde bei aufstockendem
Grundsicherungsbezug auch unweigerlich als „VERMÖGEN"
angesehen werden,
welches zu veräußern wäre und für den Lebensunterhalt aufzubrauchen ist.
Dabei spielt es kaum eine
Rolle,
ob der Behinderte dadurch in seiner Mobilität eingeschränkt ist
und /oder gesundheitlich überhaupt in der Lage ist öffentliche
Verkehrsmittel zu nutzen, geht man doch davon aus,
das Behinderte die
öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen haben (was aber oft nicht möglich
ist , wegen Stufen , zu schmalen Türen , zu hohen Einstiegen bei
Strassenbahnen /der deutschen Bahn ..usw. )…
Ergo:Behinderte(Erwerbsunfähige) Arme müssen schlichtweg zu Hause bleiben,
zum Fenster raus schauen und von gesellschaftlicher Teilhabe und /oder Urlaub /Ausflügen träumen.
Können Sie auch nur ansatzweise nachvollziehen, welche Auswirkungen eine
erzwungene Isolation haben kann?
Als lupenreiner Demokratin ist Ihnen
selbstverständlich
diktatorisches Vorgehen fremd,
aber Sie werden
sicherlich irgendwann einmal von Diktaturen gehört haben,
in denen
Isolationshaft ein probates Foltermittel ist?
Nun leben wir ja in einem
demokratischen Sozialstaat,
sind keine Häftlinge, haben nichts
verbrochen ..
ausser, dass wir krank /behindert sind und nicht mehr in
der Lage,
aus eigener Kraft ( zumindest ab und an ) am
gesellschaftlichen Leben
teil zu nehmen /bzw. den Alltag zu bewältigen.
Also, womit haben wir das verdient,
was laut Menschenrechtskonvention eine FOLTER ist ?
Wir sind nicht alt (nicht alle ) “nur” krank /behindert und arm
..
können uns oft genug nicht wehren und……
sind /werden OPFER, denen
keiner zuhört,
wir sind DEUTSCHLANDS VERGESSENE KINDER !
Wir wünschen KEINEM, durch Unfall /Krankheit in eine solche Lage zu
kommen, nur, oft geht das schneller,
als man denkt und dann spürt man
mit voller Wucht, was es wert ist,
in diesem Lande “nur Mensch” zu
sein,
kein verwertbares Humankapital.
In diesem Sinne, Frau von der Leyen, bleiben Sie gesund.
Carola Stöehr
Ellen Vaudlet
Im Original auf:
erbendertara.wordpress.com/2012/08/08/offener-brief-an-u-von-der-leyen/